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 Genie in Ketten – 
20 Jahre Fujifilm F700, S20 Pro und F710

 Einleitung: Fujifilm ist der herausragende Innovationstreiber für die Weiterentwicklung digitaler Bildsensoren. 2003 kündigte Fujifilm Finepix F700 an, welche die versammelte Konkurrenz, und die war damals wirklich zahlreich, in Sachen aufzeichenbarer Dynamikumfang geradezu deklassieren sollte [dk.deA]. 2003 erzielten bessere Digitalkameras durchaus die Bildauflösung ihrer analogen Vorgängern, aber der Dynamikumfang war beim klassischen Farbnegativfilm noch über eine Dekade danach signifikant besser. Die Fujifilm F700 sollte die Lücke bereits 2003 schließen.

 Als sie dann im September 2003 nach mehreren Terminverschiebungen auf den Markt kam, war das Echo ernüchternd: Der Dynamikumfang war nicht wirklich besser als bei anderen Kameras. Wenn man nett war, sprach man von subtilen Verbesserungen [dpreview_F700A], was später auch Fujifilm übernahm[dk.deB]. Was lief da schief?

  Technischer Hintergrund: Der in der F700 (und später in der S20 Pro sowie F710) verbaute 3+3 Megapixel Bildsensor war der einzige CCD Sensor für Kompaktkameras, welcher zwei Pixeltypen auf einem Sensor vereinte. Es gab drei Millionen Pixel mit hoher und drei Millionen Pixel mit niedriger Lichtempfindlichkeit. Da je ein R- und ein S-Pixel unter einem Farbfilter lagen, betrug das Auflösungsvermögen der Kamera nur 3 Megapixel. Im Gegensatz zu damals üblichen Techniken wie Belichtungsreihen, kann man mit dieser Anordnung jedoch zeitgleich ein helles 3 Megapixel Bild (S-Pixel) sowie ein dunkles 3 Megapixel (R-Pixel) Bild aufnehmen. Es geht also auch für bewegte Motive und ist nicht auf windstille Tage limitiert. Und dann braucht man das nur noch zu verrechnen und hat einen großen Dynamikumfang aufgezeichnet. So die Theorie.

 Technisches Problem: Bei fast allen bahnbrechenden Ingenieursideen gibt es Fallgruben, die sich erst in der Praxis zeigen. Anscheinend hatte Fujifilm die Serienproduktion bereits gestartet als sie darauf gestoßen sind. Vor die Entscheidung gestellt, alles zu verschrotten und abzuschreiben oder die Kameras mit softwaretechnisch reduziertem Funktionsumfang zu verkaufen, war letzteres kurzfristig wohl vernünftiger. In den ausgelieferten Kameras F700, S20 Pro und F710 sind die R-Pixel weitgehend deaktiviert, so dass in den Kamera JPGs faktisch (fast) nur die S-Pixel verwendet werden. Einzig der RAW-Modus ist geblieben, mit welchem man das richtige Sensorsignal und damit auch die R-Pixel noch auslesen kann. Aber was lief jetzt eigentlich alles schief?

 Problem #1: Mikrolinsendesign
Erstens hat Fujifilm für ein S+R-Pixelpaar auf dem Sensor nicht nur einen Farbfilter verwendet, sondern beide auch unter eine gemeinsame Mikrolinse gepackt. Mikrolinse waren damals nötig, um die schlechte Flächeneffizienz der CCD-Pixel auszugleichen. Nur ein Bruchteil der Pixeloberfläche ist lichtempfindlich gewesen, weil bei einem CCD einiges für die Beschaltung, die elektrische Isolation zum Nachbarn sowie das Absaugen von überfließenden Ladungen (Stichwort Blooming) benötigt wird. Die Mikrolinse konzentriert (der Optiker sagt: fokussiert) Licht in den lichtempfindlichen Teil jedes Pixels und erhöht damit die Lichtempfindlichkeit des Sensor bzw. reduziert das Bildrauschen.

Bei Linsen, auch bei kleinen, ist es jedoch so, dass der Ort des fokussierten Lichtpunkts vom Einfallswinkel abhängt, eine Eigenschaft auf der alle Wirbeltieraugen und auch die komplette Fotografie beruht. Und was passiert, wenn man Fläche unter der Linse in einen S- und einen R-Pixel teilt? Richtig, der S-Pixel sammelt bevorzugt Licht aus einer anderen Richtung als der R-Pixel. 

Praktisch bedeutet dass, dass die S-Pixel bevorzugt durch einen anderen Teil des Objektivs blicken und als die R-Pixel. Solange man in der Fokusebene ist (und das Objektiv gut korrigiert ist), stört das nicht. Aber vor und hinter der Fokusebene sind beide Bilder dann nicht mehr deckungsgleich. Entwickelt man das S- und das R-Bild getrennt (und hellt das R-Bild beträchtlich auf), legt sie übereinander, wird das Problem offensichtlich.


(Bild aus der S20 Pro)


(Makrobild aus der F700)

Im letzten Bild sieht man auch gut, dass S- und R-Pixel über dem Sensor je nach Ort (, Brennweite, Blende, Fokusentfernung, Farbe, ...) eine andere Empfindlichkeit aufweisen, was die korrekte Konvertierung von RAW-Daten echt zu einer Wissenschaft macht.

 Wenn man jedoch Makros und extreme Telebrennweiten mal außen vor lässt und im Zweifelsfall die Blende etwas schließt, ist der Effekt eigentlich nicht wirklich dramatisch. Bei nur drei Megapixel Sensorauflösung, den kleinen Sensoren und leichtem Abblenden, ist die Schärfentiefe in der Praxis ohnehin riesig.

 Problem #2: Lichtempfindlichkeit
Das zweite Problem ist die Lichtempfindlichkeit des Sensors. Laut dpreview.com [dpreview_F700B] ist die F700 bei ISO200 im JPG-Modus ungefähr so empfindlich wie eine Canon A70 bei ISO50. Somit benötigt die F700 ohnehin schon eher reichlich Licht in ihrer Grundempfindlichkeit, wenn sie nur für die lichtempfindlichen S-Pixel belichtet. Die R-Pixel sind dann noch völlig unterbelichtet. Übersteigt der Dynamikumfang einer Szene den Aufzeichnungsbereich der S-Pixel, braucht man die R-Pixel und muss dann viel mehr Licht auf den Sensor geben, damit die R-Pixel überhaupt ausgesteuert werden. Der Empfindlichkeitsunterschied zwischen S- und R-Pixeln beträgt in der Sensormitte  3,7 Blendenstufen. Hat man ein sehr kontrastreiches Motiv und nutzt die ETTR-Technik (Expose to the rights, dt. „Nach rechts belichten“) konsequent, sinkt die Basisempfindlichkeit im Extremfall von ISO50 (Canon-Notation) auf ungefähr ISO5. (Und nein, das ist kein Schreib- oder Rechenfehler.)

 In der Praxis wird man die ISO5 mangels Histogrammfunktion für die R-Pixel im manuellen Modus nie erreichen. Die maximale Belichtungskompensationsstellung ist +2.0, womit man noch zwei Blendenstufen Reserve zum Abfangen lokaler Überbelichtungen bzw. intensiver Farben hat und die Empfindlichkeit von ISO50 (Canon-Notation) auf immer noch gewöhnungsbedürftige ISO12 absinkt. Und hatte ich schon erwähnt, dass man bei Motiven mit großer Abstandsvariation und im Tele die Blende besser etwas schließt? 

 Das liest sich jetzt alles sehr technisch, aber die F700 benötigt für den S+R-Pixelmodus bei kurzen Belichtungszeiten einfach Unmengen an Licht. Ohne Stativ ist das Ganze eigentlich nur bei hellem Sonnenschein praktikabel. Aber praktischerweise sind gerade im gleißenden Sonnenlicht oft Kontraste besonders harsch, sodass das manchmal gut zusammen passt. Spielende Kinder im prallen Sonnenschein mitten im Grünen sind ein dankbares Motiv, wo das Konzept der Kamera voll einschlägt. Weniger gut schlägt sich die Kamera, wenn man die gleichen Kinder auch unterm Weihnachtsbaum ablichten will.

  Problem #3: Blooming
Das dritte Problem betrifft das Blooming des Sensors, also wenn einzelne Pixel aufgrund hoher Lichtmengen so viel Ladung aufbauen, dass sie in Nachbarpixel läuft und diese "überschwemmt".
Fujifilm hat sich dabei echt Mühe gegeben, um die R-Pixel durch die Flutung angrenzender S-Pixel zu schützen. Beide Pixeltypen haben getrennte Auslesekanäle (einmal senkrecht und einmal horizontal), wofür man vermutlich ziemlich teure Epitaxie-Fertigungsverfahren für den CCD-Sensor benötigt.
Leider muss man aber auch die S-Pixel untereinander viel besser vor dem Überlaufen schützen. Ein kritischer Fall sind Zweige oder Laub vor einem hellen Himmel. Wenn eine dunkle Stelle neben einem sehr hellen Bereich liegt, laufen die überbelichteten S-Pixel ladungstechnisch über und überschwemmen angrenzende eigentlich dunkle S-Pixel. Was dann im R-Pixelbild völlig unterbelichtet ist, wurde im S-Pixel-Bild quasi weggeschwemmt und die Rekonstruktion ist nicht mehr möglich. Fairerweise betrifft das nur Kontrastkanten, wo auch das menschliche Auge Farben ohnehin nicht mehr wahrnehmen kann bzw. sind es feine Detailfehler, die nur bei großen Drucken auffallen.

Anbei ein Beispiel. Folgendes Bild ist ein mittels Adobe Lightroom konvertiertes S+R-RAW-Bild. Mittels massivem Einsatz von Spitzenlicht-Rekonstruktion und Schattenaufhellung ist ein HDR-Bild entstanden, welches auf einem normalen Monitor darstellbar ist. 

Das S-Pixel- und das R-Pixel-Bild (beide via s7raw) zeigen, was eine damals handelsübliche Kamera aufgezeichnet hätte bzw. was auf einem herkömmlichen Monitor darstellbar wäre:




Unten rechts in diesem Bild gibt es ein Gebiet, welches vom S-Pixel-Blooming des Sensors verunstaltet wurde, so dass im konvertierten Bild seltsame artifizielle Kanten entstehen.

  Problem #4: Kein passendes Wiedergabemedium
Auf das vierte Problem stößt man, wenn man die drei oben genannten umschifft hat. Die F700 kann im Extrem ungefähr 13 Blendenstufen Dynamikumfang aufzeichnen (ja, sie rauscht dabei über das gesamte Tonspektrum mehr als andere Kameras). Einen Wert, den DSLRs mit vollem Kleinbildsensor erst ~15 Jahre später erreicht haben. Aber 2003 gab es (meines Wissens) kein digitales Wiedergabemedium, was diesen Dynamikumfang hätte wieder geben konnte. Heutige OLEDs waren 2003 noch eine ferne Zukunftsvision. Und vermutlich wollen die wenigstens Leute wie in einer echten Szene durch den Lichtschein geblendet werden.

 Nutzwert der F700, S20 Pro und F710 heute
Fujifilm hat den Sensor neben der F700 in der sehr ähnlichen Finepix F710 (4x anstatt 3x-Zoom) und in der eher professionell angehauchten Finepix S20 Pro (6x-Zoom, Bildpuffer für RAWs, AA-Akkus, CF-Kartenslot) Das Objektiv der S20 Pro ist jedoch bestenfalls mittelmäßig und möchte selbst für 3 MP Auflösung abgeblendet werden.

 Heute ist der überwiegende Teil dieser drei Kameras wegen sterbender Bildsensoren irreparabel ausgefallen, so dass funktionierende Exemplare seltene Kuriositäten sind. Mit der F700 und S20 Pro (,die F710 kenne ich nicht,) kann man Szenen mit hohen Kontrasten durch sehr hartes Licht gut aufzeichnen. Speziell im Fall der F700 ist das mit bewegten Motiven bei einer Bildrate von 0,1 Bildern pro Sekunde natürlich so eine Sache. Man muss Zeit mitbringen und allzu wichtig sollte der Anlass auch nicht sein. 

 Man kann vermuten, dass Fujifilm versucht hat, das Problem mit vielen Entwicklungsstunden über eine gute RAW-Software zu lösen (wenn in der Kamera schon zu wenig Rechenpower zur Verfügung hat). Vermutlich sind sie an einer hochqualitativen Lösung gescheitert. Es kamen später einzig s7raw als kostenfreier RAW-Konverter sowie Adobe Photoshop CS2 und später das noch bessere Adobe Lightroom mit entsprechender Funktionalität. Bei Adobe muss es einen Liebhaber dieser Sensoren gegeben haben, denn speziell Lightroom ist schlussendlich richtig gut geworden.

 Bei all dem Einschränkungen muss man auch konstatieren, dass man die oben genannten Probleme oft umgehen kann und dann die SR-Sensoren ihrer Zeit 15 Jahre voraus sind. Schade das 2003 die Courage gefehlt hat, den Modus wenigstens mit durchaus schmerzhaften Einschränkungen frei zu schalten. Die Anmutung der entwickelten RAWs ist jedenfalls sehr analog mit einem gleichmäßigem Filmkorn und brachialem Dynamikumfang. 


HDR-aus S20 Pro via Adobe Lightroom


R-Pixel-Bild via s7raw


S-Pixel-Bild via s7raw

 Lernen aus dem Scheitern - Weiterentwicklung:
So sehr man Fujifilm für ihre zweifelhafte Kommunikation mit dem ersten SR-Sensor schelten kann, so ausdauernd waren sie bei der Weiterentwicklung des Ansatzes. Auf einem kleinen 7,6x5,7 mm Sensor sind eigene Mikrolinse für S- und R-Pixel wegen der Beugungseffekte keine gute Lösung, so dass Fujifilm das Konzept auf größere Sensoren adaptiert hat. Mit der Finepix S3 Pro (APS-C Spiegelreflex) sowie in nochmals verbesserter Version in der S5 Pro haben sie die wesentlichen Problempunkte des Sensordesigns behoben. Die dort viel größeren R-Pixel bekamen eigene Mikrolinsen und die Empfindlichkeit beider Pixeltypen lag näher beisammen, was Blooming reduziert und vom Dynamikumfang auf typische Wiedergabegeräte zugeschnitten ist. 

 Das Konzept hat dann wirklich funktioniert und ich persönlich halte die S5 Pro nach wie vor für die sensortechnisch mit Abstand beste DSLR bis weit nach 2010 [dpreview_S5Pro]. Vor allem weil ausreichend Dynamikumfang in erster Linie mit Hinblick auf korrekte Farbreproduktion kritisch ist und man kippende Farben selbst auf einem 9x13 cm Abzug sofort sieht. Die führenden Testmagazine wie dpreview sahen das anders und bewerte(te)n Kameras nach ihrer Eignung für großformatige Fine-Art-Projekte. Bei den Auflösungslimitierungen üblicher Fotoreproduktions-Technologien wie Bildschirmen und Abzügen ist das ungefähr so sinnvoll, wie die Präzision eines Sturmgewehrs in einer Laborumgebung durch Einspannen in einen Schraubstock zu bestimmen.

 In den 2020ern sind große Bildsensoren (ab 4/3s Format) hinreichend rauscharm, dass man einen hohen Dynamikumfang durch krasses Unterbelichten und Aufhellen der Schatten in der Nachbearbeitung erzielen kann. Die in diesem Beitrag diskutierten technischen Problemstellungen rund um die Sensormikrooptik sind jedoch nach wie vor aktuell und tauchen z.B. bei der scheinbaren Transmissionsabnahme bei Offenblende von hochlichtstarken Optiken wie dem Voigtländer 29 mm F0.8 wieder auf.

 Quellen:
     [dk.de1] - Ankündigung SR-Sensor
     [dpreview_F700A] - Testbericht, Vergleich Dynamikumfang
     [dpreview-F700B] - Vergleich mit Canon A70
     [dk.deB] - Fujifilm nimmt Stellung zu Erfahrungsbericht
     [dpreview_S5Pro] - Testbericht Finepix S5 Pro

   September 2023