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Rahmenbedingungen Was
ist schönes Bokeh? Ich will nicht in Abrede stellen, dass man auch mit einem sehr "charaktervollen" (ein anderes Wort für "nervös") Bokeh künstlerische wertvolle Bilder schießen kann [1]. Nur muss man dann eben deutlich mehr Aufwand treiben und ggf. auch in den Hintergrund der Szene eingreifen. Fotografiert man Bilder für einen Modekatalog, ist das gängige Praxis. Für ungestellte Familienaufnahmen (z.B. im Rahmen einer Geburtstagsfeier) geht so etwas jedoch nicht. Daher wollte ich ein Objektiv haben, das bei jedem Hintergrund funktioniert. Egal ob in der Gartenlaube oder vor Omas mit Kristallglas gefüllter Vitrine; es soll nur die Person scharf und im Fokus sein, der Hintergrund soll immer weich gezeichnet sei. Wer das unästetisch oder zu langweilig findet, kann hier aufhören zu lesen. Vorarbeiten
anderer (/Stand der Technik) Der zweite Ansatz variiert die Lichttransmission des Objektivs in der Aperturblendenebene durch eine Zerstreuungslinse aus Grauglas (US-Patent 3843235). Das Minolta 135 mm F2.8 [T4.5] STF ist die praktische Umsetzung. Die optische Konstruktion des Objektivs wurde auf ein möglichst 'weiches' Bokeh hin optimiert. Konventionelle Objektive lassen eine Punktlichtquelle bei Defokussierung ("dPSF") als runden Zerstreungskreis erscheinen, das 135 mm f2.8[T4.5] STF zeichnet eine dPSF hingegen als Scheibe mit nach außen hin abnehmender Helligkeit [Testbericht]. Das führt zur Weichzeichnung des Hintergrunds.
Der Ansatz funktioniert und die die Abbildungsschärfe bleibt bei diesem Ansatz unbeeinträchtigt. Jedoch hat der technische Lösung einige andere Nachteile:
Prinzipiell ist Apodisation (Minoltas Idee) definitiv der richtige physikalische Ansatz, es galt aber das ganze praktikabler umzusetzen, um die ersten zwei der aufgezählten Nachteile zu umgehen. Der Kerngedanke war die Verwendung von dünnen absorbierenden Schichten anstelle von absorbierendem Glas. Die Schicht muss dann natürlich einen Verlauf über der Linse haben. In der Mitte keine Absorption und zum Rand hin steil ansteigend. Experimenteller
Werdegang
Die technischen Mittel zur Umsetzung waren natürlich begrenzt. Als Student hat man meistens keine Beschichtungsanlage mit Vakuumpumpen und chemischer Gasphasenabscheidung und auch kein Labor mit nasschemischer Prozessstrecke zur freien Verfügung. Also arbeitet man mit dem, was man auftreiben kann. Die praktischen Versuche zogen sich über viele Monate (mit großen Unterbrechungen) hin. Am Ende ist dabei ein ganz ansehnliches Portrait-Objektiv als Prinzipnachweis heraus gekommen.
Den Projektbericht für mein damaliges Studium gibt es hier zum Download. Dort ist das Thema mit ingenieurswissenschaftlichen Anspruch dargestellt sowie zwei technisch interessante Irrwege (es gab einige mehr) enthalten: Download Projektbericht Die Sonnenblende
Fertigungstechnisch war 2010 eine stabile und maßgeschneiderte Sonnenblende ein Problem, heute im Zeitalter brauchbarer 3D-Drucker ist das leicht gelöst. Konstruieren per FreeCAD, Drucken und in den heißen Metallring eines alten Filters eingekleben. Da man die Apodisationsschichten bei manueller Anfertigung nie absolut reproduzierbar hinbekommt, werden die letzten Millimeter per Feile angpasst, fertig. Kleiner Tipp am Rande: Eine Sonnenblende passt prinzipbedingt nur für genau ein Sensorformat, sofern man sie nicht überdimensionieren möchte. Macht man sie hingegen eckig und hat, wie bei M42, einen Objektivanschluss via Schraubgewinde, passt die Sonnenblende aber auch für nur genau einen Bajonettadapter. In dem Fall von M42 auf 4/3s. An einem µ4/3s Adapter sitzt das Objektiv leicht verdreht. Also besser nur Objektive mit Bajonettanschluss umbauen oder gleich runde Sonnenblenden verwenden. ;) Mit einer besseren Beschichtungstechnologie braucht man solche Spezialsonnenblenden heute jedoch nicht mehr.
Weiterer Gang der
Erfindung Sechs Jahre später wurde die Lösung dann unabhängig von meinen Arbeiten von Canon zum Patent angemeldet. (Für ganz Eifrige: JP6489857B2 bzw. US9651722B2, der Patentschutz gilt m. E. nur in Japan und den USA.) Canon hat eine richtig gute und serientaugliche Beschichtungstechnologie entwickelt. Die erste praktische Umsetzung ist das Canon RF 85 mm F1.2L USM DS:
Aus Sicht des Anwenders ist das Canon RF 85 mm F1.2 DS trotz gleichem technologischen Ansatz ein komplett anderes Objektiv mit ganz anderem Zielkreis: Die Schärfentiefe ist superdünn, es ist irre schwer und kostet mit 3500€ ein Vermögen. Andererseits bietet es jedoch auch eine Abbildungsleistung, die über jeden Zweifel erhaben ist. (Bzw. etwas sarkastischer: So gut, wie sie kaum jemand für ein Portrait benötigt.) Also eher etwas für den professionellen Werbefotograf und für den Amateur im Freizeitbereich völlig überdimensioniert. Auf ein 85 mm T4.0 oder 50 mm T2.8 (für APS-C) für kleines Geld dürften wir noch länger warten. Aufgrund der durch Canon geschaffenen Patentrechtssituation besteht für mich auch keine Option zur Verwertung der Idee im Rahmen eines Startups. Daher nun die Veröffentlichung nach vielen Jahren. Quo vadis
Apodisation? Da durch die zwei Apodisationsschichten die Vignettierung definitiv ansteigt, benötigt man ein Objektiv, dass für einen deutlich größeren Bildkreis ausgelegt wurde, als man ihn zu nutzen beabsichtigt. Idealerweise ein Kleinbild-Objektiv an FourThirds oder APS-C. Ein APS-C-Objektiv an FourThirds ist schon grenzwertig. Ich habe ein noch herum liegendes Peargear 35 mm F1.2 als Versuchsobjekt für die Entwicklung eines besseren Beschichtungsprozesse genutzt. Das vignettiert schon heftig.
Immerhin streuen die letzten Beschichtungsversuche deutlich weniger, so dass man keine Spezialsonnenblende mehr benötigt. Jedoch hat sich infolge der Beschichtungsversuche (viele Tage nach dem Umbau) die Antireflexschicht der Vorderlinse vom Glas abgelöst. Die letzte Linse im Objektiv wurde nur einmal mit dem finalen Rezept beschichtet, die hält bisher. Das ganze Apodisations-Beschichten ist also nach wie vor, und nicht nur der Farbe nach, eine schwarze Kunst, die noch auf ihre Meister wartet.
Bei richtig modernen AF-Objektiven sind die Linsen meist in die Fassung eingeklebt oder eingespritzt, wobei ich mich nur mit µ4/3s-Objektiven etwas genauer auskenne. Dort hat man keine Chance. Aber sofern die Zeit irgendwann mal weniger knapp ist, will ich mich auch an älteren AF-Objektiven versuchen. Insofern sind alle Fotoamateuer eingeladen, alte Objektive für ihre Bedürfnisse zu modifizieren. Da der Patentschutz von Canon sowieso nur für Japan und die USA gilt, kann man nach meinem juristischen Kenntnisstand im Rest der Welt sogar frei damit handeln, solange man diese beiden Staaten explizit ausspart. Abschließend noch ein paar Beispielbilder aus den Jahren, wobei ich entgegen des Haupeinsatzzwecks aus juristischen Gründen keine Portraits zeige. Beispielfotos der Objektive Quellen/Verweise: Juli 2024 |