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 Das Soft-Bokeh Projekt
oder
Wie bekommt man ausreichend Schärfentiefe und weiches Bokeh unter einen Hut?

 Rahmenbedingungen 
Hintergrund der Geschichte war die Ernüchterung nach dem Kauf meiner ersten FourThirds-DSLR ungefähr 2007. Das als Portrait-Objektiv besorgte manuelle 50 mm F1.8 ließ sich bei Offenblende durch den optischen Sucher prinzipbedingt nicht zuverlässig scharfstellen.
Da die defokussierten Bildhintergründe mit Blende 2.8 oder 4.0 nicht so befriedigend war (und ich sowieso eine Projektarbeit für mein damaliges Hochschulstudium benötigte), suchte ich einen besseren Lösungsweg für weiche Bildhintergründe bei gleichzeitig hinreichend großer Schärfentiefe. Und natürlich sollte die Lösung einfach und preiswert fertigbar sein.

 Was ist schönes Bokeh?
Da gibt es nur genau eine Antwort: Es kommt auf den Geschmack an. Die hier vorgestellten Objektive zeichnen den defokussierten Hintergrund immer verschmiert. Egal ob es eine montone Ziegelsteinwand ist oder ob die Wand mit vielen im Sonnenlicht glitzernden Wassertropfen besetzt ist. Dies ist bei konventionellen Objektiven ein himmelweiter Unterschied:

 Ich will nicht in Abrede stellen, dass man auch mit einem sehr "charaktervollen" (ein anderes Wort für "nervös") Bokeh künstlerische wertvolle Bilder schießen kann [1]. Nur muss man dann eben deutlich mehr Aufwand treiben und ggf. auch in den Hintergrund der Szene eingreifen. Fotografiert man Bilder für einen Modekatalog, ist das gängige Praxis. Für ungestellte Familienaufnahmen (z.B. im Rahmen einer Geburtstagsfeier) geht so etwas jedoch nicht. Daher wollte ich ein Objektiv haben, das bei jedem Hintergrund funktioniert. Egal ob in der Gartenlaube oder vor Omas mit Kristallglas gefüllter Vitrine; es soll nur die Person scharf und im Fokus sein, der Hintergrund soll immer weich gezeichnet sei. Wer das unästetisch oder zu langweilig findet, kann hier aufhören zu lesen.

 Vorarbeiten anderer (/Stand der Technik)
Ausgangspunkt aller Überlegungen waren die bestehenden Lösungen für weiches Bokeh am Markt: Da war einmal Nikon mit seinen "Defocus Control" Objektiven (105 mm F2.0 DC und 135 mm F2.0 DC). Dort lässt sich über einen variablen Linsenabstand im Objektiv die Korrektur des Abbildungsfehlers sphärische Aberrationen einstellen.
Damit bekommt man jedoch entweder nur das Vordergrund- oder das Hintergrund-Bokeh "weich", der komplementäre Bereich wird dafür besonders ecklig. Zudem leidet die Bildauflösung in der Schärfenebene massiv. Und dann ist das quasi ein eigenständiges Objektiv, was in sehr kleinen Stückzahlen laufen muss. Auch kommerziell wenig aussichtsreich.

 Der zweite Ansatz variiert die Lichttransmission des Objektivs in der Aperturblendenebene durch eine Zerstreuungslinse aus Grauglas (US-Patent 3843235). Das Minolta 135 mm F2.8 [T4.5] STF ist die praktische Umsetzung. Die optische Konstruktion des Objektivs wurde auf ein möglichst 'weiches' Bokeh hin optimiert. Konventionelle Objektive lassen eine Punktlichtquelle bei Defokussierung ("dPSF") als runden Zerstreungskreis erscheinen, das 135 mm f2.8[T4.5] STF zeichnet eine dPSF hingegen als Scheibe mit nach außen hin abnehmender Helligkeit [Testbericht]. Das führt zur Weichzeichnung des Hintergrunds.


Linsenschema des Minolta 135 mm F2.8 [T4.5] STF

Der Ansatz funktioniert und die die Abbildungsschärfe bleibt bei diesem Ansatz unbeeinträchtigt. Jedoch hat der technische Lösung einige andere Nachteile:

  • Man muss das Objektiv fast vignettierungsfrei bauen, damit auch am Rand das Bokeh schön bleibt. Wer ein bisschen was von Optikdesign versteht, weiß, dass man für vignettierungsfreie Fotoobjektive mit Gewicht, Volumen, Abbildungsqualität und viel Geld bezahlt. Da Objektive mit weichem Bokeh richtige Nischenlösungen mit geringen Stückzahen sind, kann man das kaum gewinnbringend an den Mann bringen. Ohne Vignettierungsfreiheit, kommt so ein Bokeh-Murx wie beim Fujifilm 56 mm F1.2 APD oder Laowa 105 mm 2.8 STF heraus. In der Bildmitte ist das Bokeh weich, am Bildrand hin nicht. Das Sony 100 mm F2.8 T5.6 STF arbeitet hingegen vignettierungsfrei, ist jedoch für seine Lichtstärke wirklich schwer und groß.

  • Die Nutzung einer Grauglas-Linse mit sphärischer Grenzfläche legt automatisch den Verlauf der Transmission in der Blendenebene fest. Insbesondere kann die Transmission am Rand nie nahezu null erreichen. Bei richtig hellen Lichtquellen im defokussierten Hintergrund sieht man dann doch wieder scharfe Kanten. 
    Und man verliert auch immer in der Mitte der Apertur unnötig Licht. Das war bei den Sensoren vor 15 Jahren durchaus noch ein gewichtiges Argument. Heute eher nicht mehr.

  • Das weiche Bokeh bekommt man nur, sofern die Aperturblende offen bleibt. Insofern handelt es sich um "Fix-Blenden-Objektive", zumindest sofern es aufs Bokeh ankommt. Das ist prinzipbedingt und ohne sehr viel mehr Bauraum nicht änderbar. Man muss auch bedenken, dass man bei zu großer Lichtstärke und Sonnenscheint die minimale Belichtungszeit der Kamera erreichen kann. Wobei auch das heute weniger kritisch ist.

 Prinzipiell ist Apodisation (Minoltas Idee) definitiv der richtige physikalische Ansatz, es galt aber das ganze praktikabler umzusetzen, um die ersten zwei der aufgezählten Nachteile zu umgehen. Der Kerngedanke war die Verwendung von dünnen absorbierenden Schichten anstelle von absorbierendem Glas. Die Schicht muss dann natürlich einen Verlauf über der Linse haben. In der Mitte keine Absorption und zum Rand hin steil ansteigend.

 Experimenteller Werdegang
Für eine kreative Studienarbeit war damit der Rahmen gesetzt. Es war schnell klar, dass das man zur Umsetzung genau zwei absorbierende Schichten benötigt. Eine sitzt vor und eine hinter der Aperturblende. Folgendes Bild zeigt die Anordnung beim ersten gefertigten Prototypen:


Gewählte Anordnung der Apodisationsschichten im ersten Prototyp Pentacon 50 mm F2.4 [T3.4]

 Die technischen Mittel zur Umsetzung waren natürlich begrenzt. Als Student hat man meistens keine Beschichtungsanlage mit Vakuumpumpen und chemischer Gasphasenabscheidung und auch kein Labor mit nasschemischer Prozessstrecke zur freien Verfügung. Also arbeitet man mit dem, was man auftreiben kann. Die praktischen Versuche zogen sich über viele Monate (mit großen Unterbrechungen) hin. Am Ende ist dabei ein ganz ansehnliches Portrait-Objektiv als Prinzipnachweis heraus gekommen.


Erster Prototyp: Pentacon 50 mm F2.4 [T3.4]


Vergleich der Pupille eines unmodifizierten und eines apodisierten Pentacon 50 mm F1.8 Objektivs

 Den Projektbericht für mein damaliges Studium gibt es hier zum Download. Dort ist das Thema mit ingenieurswissenschaftlichen Anspruch dargestellt sowie zwei technisch interessante Irrwege (es gab einige mehr) enthalten:

Download Projektbericht 
(PDF, 1,4 MB)

 Die Sonnenblende
Der im Projektbericht beschriebene Weg einer Rußabscheidung aus einer Haushaltskerzenflamme ist zwar handwerklich sehr einfach umsetzbar, führt jedoch zu einer stark streuenden Apodisationsbeschichtung. Das Streulicht bekommt man nur durch eine ausgeklügelte Sonnenblende halbwegs in den Griff. Im Prinzip sind das zwei (oder mehr) rechteckige Fenster. Eines direkt vor dem Objektiv, das zweite in z.B. 5 cm Abstand. Für das Pentacon 50 mm F2.4 [T3.4] ist die Sonnenblende so groß wie das Objektiv selbst:


Olympus E-330 mit Pentacon 50 mm F2.4 [T3.4] und maßgenschneiderter Sonnenblende

 Fertigungstechnisch war 2010 eine stabile und maßgeschneiderte Sonnenblende ein Problem, heute im Zeitalter brauchbarer 3D-Drucker ist das leicht gelöst. Konstruieren per FreeCAD, Drucken und in den heißen Metallring eines alten Filters eingekleben. Da man die Apodisationsschichten bei manueller Anfertigung nie absolut reproduzierbar hinbekommt, werden die letzten Millimeter per Feile angpasst, fertig. 

 Kleiner Tipp am Rande: Eine Sonnenblende passt prinzipbedingt nur für genau ein Sensorformat, sofern man sie nicht überdimensionieren möchte. Macht man sie hingegen eckig und hat, wie bei M42, einen Objektivanschluss via Schraubgewinde, passt die Sonnenblende aber auch für nur genau einen Bajonettadapter. In dem Fall von M42 auf 4/3s. An einem µ4/3s Adapter sitzt das Objektiv leicht verdreht. Also besser nur Objektive mit Bajonettanschluss umbauen oder gleich runde Sonnenblenden verwenden. ;) Mit einer besseren Beschichtungstechnologie braucht man solche Spezialsonnenblenden heute jedoch nicht mehr.


Blick in die Sonnenblenden des Pentacon 50 mm F2.4 [T3.4]

 Weiterer Gang der Erfindung
Die anschließende "Vermarktung" der erarbeiteten Lösung lief nicht optimal. Der Ansatz ist kommerziell nur für "kleine Sensorformate", also allen voran Super-35 und sekundär noch APS-C und FourThirds interesant. Für diese drei kann man geeignete serienmäßig gefertige Kleinbildformat-Objektive abzwacken und die Apodisationsschichten nachträglich aufbringen. Nach einigen Vorstellungsrunden fanden zwei große deutsche Kino- bzw. Fotoequipmenthersteller den Ansatz nicht zielführend und die kommerziellen Verwertungsversuche sind dann eingeschlafen. Trotz dessen hat mir der Prototyp über all die Jahre gute Dienste geleistet und ich habe meine Freude dran. 

 Sechs Jahre später wurde die Lösung dann unabhängig von meinen Arbeiten von Canon zum Patent angemeldet. (Für ganz Eifrige: JP6489857B2 bzw. US9651722B2, der Patentschutz gilt m. E. nur in Japan und den USA.) Canon hat eine richtig gute und serientaugliche Beschichtungstechnologie entwickelt. Die erste praktische Umsetzung ist das Canon RF 85 mm F1.2L USM DS:


Optiklayout des Canon RF85 mm F1.2L USM DS. 
Quelle: Canon-Deutschland

 Aus Sicht des Anwenders ist das Canon RF 85 mm F1.2 DS trotz gleichem technologischen Ansatz ein komplett anderes Objektiv mit ganz anderem Zielkreis: Die Schärfentiefe ist superdünn, es ist irre schwer und kostet mit 3500€ ein Vermögen. Andererseits bietet es jedoch auch eine Abbildungsleistung, die über jeden Zweifel erhaben ist. (Bzw. etwas sarkastischer: So gut, wie sie kaum jemand für ein Portrait benötigt.) Also eher etwas für den professionellen Werbefotograf und für den Amateur im Freizeitbereich völlig überdimensioniert. Auf ein 85 mm T4.0 oder 50 mm T2.8 (für APS-C) für kleines Geld dürften wir noch länger warten.

 Aufgrund der durch Canon geschaffenen Patentrechtssituation besteht für mich auch keine Option zur Verwertung der Idee im Rahmen eines Startups. Daher nun die Veröffentlichung nach vielen Jahren.

 Quo vadis Apodisation?
Dank spiegelloser Systemkameras ist man heute zur manuellen Scharfstellung nicht mehr auf den Blendenbereich F2.8 bis F4.0 festgelegt. (Wobei m.E. beide Augen eines Menschen scharf abgelichtet gehören.) Zudem gibt es ein viele sehr preiswerte und manuelle Objektive chinesischer Hersteller. Diese sind oft komplett aus Glaslinsen gefertigt, die größtenteils mit Vorschraubring montiert sind. Also ideale Vorraussetzungen für begabte Heimwerker.

 Da durch die zwei Apodisationsschichten die Vignettierung definitiv ansteigt, benötigt man ein Objektiv, dass für einen deutlich größeren Bildkreis ausgelegt wurde, als man ihn zu nutzen beabsichtigt. Idealerweise ein Kleinbild-Objektiv an FourThirds oder APS-C. Ein APS-C-Objektiv an FourThirds ist schon grenzwertig. Ich habe ein noch herum liegendes Peargear 35 mm F1.2 als Versuchsobjekt für die Entwicklung eines besseren Beschichtungsprozesse genutzt. Das vignettiert schon heftig.


Pergear 35 mm Fx.x Tx.x

 Immerhin streuen die letzten Beschichtungsversuche deutlich weniger, so dass man keine Spezialsonnenblende mehr benötigt. Jedoch hat sich infolge der Beschichtungsversuche (viele Tage nach dem Umbau) die Antireflexschicht der Vorderlinse vom Glas abgelöst. Die letzte Linse im Objektiv wurde nur einmal mit dem finalen Rezept beschichtet, die hält bisher. Das ganze Apodisations-Beschichten ist also nach wie vor, und nicht nur der Farbe nach, eine schwarze Kunst, die noch auf ihre Meister wartet.


Abgelöste AR-Schicht im Peargear 35 mm F1.2

 Bei richtig modernen AF-Objektiven sind die Linsen meist in die Fassung eingeklebt oder eingespritzt, wobei ich mich nur mit µ4/3s-Objektiven etwas genauer auskenne. Dort hat man keine Chance. Aber sofern die Zeit irgendwann mal weniger knapp ist, will ich mich auch an älteren AF-Objektiven versuchen. 

 Insofern sind alle Fotoamateuer eingeladen, alte Objektive für ihre Bedürfnisse zu modifizieren. Da der Patentschutz von Canon sowieso nur für Japan und die USA gilt, kann man nach meinem juristischen Kenntnisstand im Rest der Welt sogar frei damit handeln, solange man diese beiden Staaten explizit ausspart.  

 Abschließend noch ein paar Beispielbilder aus den Jahren, wobei ich entgegen des Haupeinsatzzwecks aus juristischen Gründen keine Portraits zeige.

 Beispielfotos der Objektive

Quellen/Verweise:
[1] - amateurphotographer.com - How to create stunning bokeh

Juli 2024